31.12.2013

DIE MACHT HAT DAS VOLK

 

Der Herrscher sann darüber nach wie er sein Leben verlängern könne. Noch erst-30 Jahre alt hatte er die Herrschaft seines Vaters über­nommen.

Wenig war zu tun, daß meiste erledigten Deligierte, Unterminister, so­genannte politische „Bandaffen“.

 

Unter seines Vaters Herrschaft wurde, wie alle paar Jahrhunderte ein­mal, kräftig reformiert. Das Volk konnte sich so überaus eifrig ver­mehren und das Land dichter besiedeln. Das Interesse an Politik, Um­sturz oder neuen Reformen war somit in satten Bäuchen vorerst er­loschen .

 

Sicher ,  es gab viele arme Leute, aber die Almosen waren üppig.  So dergestalt das Reich im gefräßigen Frieden ruhte, blieb dem jungen Herrscher nichts anderes übrig, als sich mit sich selbst zu beschäf­tigen.

Erzogen wurde  er von den gelehrtesten Männern, welche als Sprachrohre von nie gealterten Gedanken fungierten.

 

Nun befand er sich in einem aufgeklärten Land, welches Religion nur noch für marktwirtschaftliche Zwecke verwerten konnte (Feste etc.). Sein Vater hatte ihn schon früh darüber aufgeklärt, das im Zweifels­falle er nur sein eigenes Leben als Gewissheit hatte, und dies umso mehr, desto mehr Leute davon abhängig waren.

 

Wie es seiner stürmischen Jugend entsprach, nutzte er seine Herrschaft in den ersten Jahren hauptsächlich durch Ausrichten gigantischer Fest­gelage mit allen Zechfreudigen und angesehenen Bürgern des Staates. Diese Gelage waren überaus umfangreich und so brauchte er auch seine Phantasie nicht anzustrengen, sondern konnte sie in jedem Ansatz auch in die Tat umsetzen.

Zwar wurde jeder Kater im folgenden Gelage erfolgreich ertränkt, doch kamen Momente häufiger in denen er trotz Trunkenheit keine Zufriedenheit mehr verspürte.

Viele hochrangige psychologische Berater rieten ihm etwas asketischer zu leben.

 

Jedoch wenn er sich selbst frug warum er trank, war es ja gerade nicht weil er Probleme hatte, vielmehr aus dem gegenteiligen Grund.

Folglich konnte ihm das asketische Leben höchstens im fanatischen Eifer eine gewisse Befriedigung verschaffen, wenn er darunter leiden würde. Darüber im klaren verspürte er mittlerweile weder zum einen noch zum anderen die richtige Lust.

Er erinnerte sich an die Taten seiner Vorväter, ihr gefährliches und monumentales Leben.

Auch er wollte sich zumindest in der Erinnerung der anderen ein Denkmal setzen, denn was war es schließlich, welches das Leben der Ahnen so interessant machte? Es war die Erinnerung daran, der Ruhm, ihr Fortdauern in Gedanken.

 

Eine Zeitlang spielte er mit der Idee, ein mindestens zweihundert­jähriger Machthaber zu sein, besser zu werden .

Unterstützt von allen Mitteln der Medizin und der immer mehr auf Sicherheit bedachten Te­chnik. Doch dieser Plan konnte natürlich leicht fehlschlagen, zumal man nur einen Versuch hatte.

Er ließ trotzdem Berater aus den entsprechenden wissenschaftlichen Bereichen kommen, liess sie Wahrscheinlichkeitshypothesen aufstellen, mögliche Gefahren abschätzen, im Geiste sah er sich schon als 150-jähri­ger Gnom mit weißen Haaren vom Volke verehrt.

 

Fünf Jahre brauchten die Berater, ihm ein halbwegs vollständiges Gutachten über diesen Versuch vorzulegen. Einhergehend mit intensiven Körper­untersuchungen brachte man es günstigstenfalls auf eine Wahrscheinlichkeit von 7,33 %   das er 200 Jahre alt werden könne, unter den Bedingungen rechtzeitiger Organverpflanzung und möglichster Bewegungslosigkeit.

Letztlich schreckte ihn weniger die geringe Wahrscheinlichkeit, als die gewiß schmerzhaften Operationen von seinem Vorhaben ab.

 

Dann kam ihm die gigantische Idee,  in einen Berg seine Gestalt als riesiges Denkmal hauen zu lassen. Der einzige Zweitausender im Land wäre wunderbar dafür geeignet. Viele geheime Beratungen wurden abgehalten unter den Vorwänden fürs Volk, eine neue Goldmine entdeckt zu haben fing man an dem Berg an  einseitig zu arbeiten.

 

Zwar lehnten sich einige enge ‘Mitarbeiter gegen diesen Plan auf, aber nachdem die gesamte Wirtschaft durch dieses  Riesenprojekt angekurbelt wurde, beruhgte sich der Widerspruch.

 

Wieder  zogen viele Jahre ins Land in denen er dauernd mit künstler­ischen Beratern sein zukünftiges Standbild in Zeichnungen und auf Plänen und Skizzen ausgiebig erläuterte.

Nach 15 Jahren hatte man entfernt so etwas wie die Andeutung einer offenliegenden  Wade zustandegebracht, sie maß 300 Meter in der Höhe und 70 Meter in der Breite.

Zwei längliche Tunnel in einer Länge von 2 km waren in den Berg getrieben worden, aber nicht wie Eisenbahntunnel, mit einer Höhe von 5-6m sondern mit 100 m Höhe.

Mittlerweile hatte man auch den Vorwand geändert.

 

Nun galt dieses Vorhaben anscheinend einem für alle Staatsbürger aus­reichenden Bunker.

Langsam wurde ihm klar, daß dieses Werk nie zu seinen Lebzeiten, selbst wenn er 200 Jahre alt werden würde, fertig sei.

 

Die jugendliche Kraft des Erwachsenen hatte ihn auch schon verlassen.

Tag für Tag verspürte er seinen Willen gieriger werdend und seine Tatkraft erlahmen.

Resigniert nahm er dann auch von diesem Plan Abstand, und vertiefte sich, von den meisten Staatsgeschäften abgewandt, in die Lektüre hauptsächlich philosophischer Bücher.

 

Nach einigen Jahren tiefer Versenkung überkam ihm eines Abends eine Idee.

 

Viele Staatsformen wurden theoretisch ausführlich in den Büchern er­läutert, auch immer der Aspekt des Zwanges, welcher in jeder Staatsform herrschte,  wäre es nicht eine einmalige historische Tat, nicht nur ab­zudanken, und seine Herrschaft Nachfolgern zu überlassen, sondern die staatliche Herrschaftsform mit der Gewalt des Gesetzes aufzulösen, bis zuallerletzt sich das letzte Gesetz selbst aufhebt?

Die Freiheit des Volkes, sie ihm zu geben, ohne das es danach fragt?

Ein verschwenderisches Geschenk sozusagen!

 

Doch schon befielen ihn Bedenken, wie sollte er dies seinen engsten

Beratern schmackhaft machen, welche nur an Ihre Privilegien und nicht an seinem Ruhm in der Geschichte geschweige denn an der Freiheit des Volkes interessiert waren?

Er begann sich in juristische Lektüre zu vertiefen, alle bestehenden Gesetze ausgiebig zu studieren, um dann nach einer langen Zeit endlich seihe Rechtskundigen zu einer Konferenz einzuberufen.

 

Dort schlug er Ihnen eine Vereinfachung aller Gesetze vor, er machte Ihnen den für alle Betroffenen undurchsichtigen Paragraphendschungel anschaulich, weiteres konnten alle nachvollziehen, doch kahmen Bedenken hinsichtlich einer Vereinfachung auf, da so viele Leute ihren Beruf verlieren könnten.

 

Er garantierte schließlich eine Unzahl von Neueinstellungen zur Bear­beitung der Vereinfachung einzusetzen, natürlich streng hierachisch ge­ordnet.

Durch gute Bezahlung und geringer Arbeitszeit machte er die Leiter wie die Untergebenen blind für den Inhalt ihrer Arbeit ,welche lediglich darin bestand zuerst einmal alle Zusatzgesetze und Paragraphen zu streichen, und das neue wesentlich dünnere Gesetzbuch in neuer  und Sortierung zu editieren.

Im Volke wurde diese Maßnahme natürlich begrüßt, da so viele Ausgaben für Rechtsanwälte und Verfahren gespart werden konnten.

Die wenigen Kritiker wurden allgemein als Paragraphenhengste verschrien. Schwieriger wurde schon die zweite Stufe, nämlich die restlichen Grund­gesetze zu dezimieren, zumal im Volk das Bewußtsein von LAW und ORDER gerade durch die neue straffe Übersichtlichkeit wieder wie alle Jahre einmal geweckt wurde.

 

So erwog er den Schritt über das, mit Absicht noch nicht gestrichene

Notstandsgesetz zu machen.

Im Ausland Feindschaft zu schüren war kein Problem,

und dann ,wenn ein Aufschrei der Empörung durchs Volk gehen würde, wegen angeblicher Machtübernahme, Tyrannei und Alleinherrschaft, dann könnte er in einem einzigartigen festlichen Akt diese Vorwürfe durch die Strei­chung aller verbliebenen Gesetze (nämlich der tyrannischen Notstands­gesetze) entkräften, ohne die alten Gesetze wieder einzusetzen.

 

So begann er dann wenige Berater in seine Notstandspläne einzuweihen, ihnen den Gedanken an eine Tyrannenherrschaft schmackhaft zu machen durch eigene Beteiligung an der Macht, und erfolgreich im Ausland durch nationalistische Aussprüche Feindschaft zu säen.

 

Es kam der Tag wo die Bedrohung durch das Ausland dermaßen offensicht­lich auf eine Konfrontation hinauslief, daß er begann Soldaten zu re­krutieren und zur gleichen Zeit die Notstandsgesetze verkünden ließ, in denen er als Oberbefehlshaber und höchste Gerichtsbarkeit anzuerkennen war.

 

Diese Verkündung rief eine Welle der Empörung unter den Gebildeten und auch unter dem Volk hervor, Demonstrationen begannen sich sofort zu bil­den und sich vor seinem Palast zu sammeln.

 

Seine miteingeweihten Berater begannen ihn zu bedrängen, diese Notstandsgesetze wieder aufzuheben, oder zumindest durch Stellvertreter des Volkes in einem Regierungsausschuß abzumildern.

 

Jetzt spürte er das der Moment gekommen sei, scheinbar bereitwillig ging er auf die Vorschläge ein und begab sich auf den Balkon vor dem Hauptlatz um seine neuen Beschlüsse bekanntzugeben. Seine Stunde war gekommen, ohne Erregung, kalt, starr und gewiß sprach er die wenigen bedeutenden Sätze:

 

“Seit Jahrhunderten wurde das Volk vom Adel, von Geistlichen oder von eigenen, demokratisch gewählten Vertretern bevormundet und unterdrückt. Ihr alle demonstriert auch heute wieder gegen die Macht der Gesetze, welche einem immer kleineren Kreis immer größere Vorrechte einräumen.

Ich will nicht nur mich eurem Willen gefügig zeigen, diesen Zustand zu verändern, nein ich werde ihn hier und jetzt, kraft meiner Amtsperson und meiner Macht, für immer beenden.

Ab sofort und durch den heutigen Erlaß, Zusatzparagraph 1A, sind alle Gesetze, deren Ausführung, Auslegung und Existenz, ihrer rechtmäßigen Gewalt entkleidet.

Die Regierung, Polizei wie die Gerichte und alle da­mit zusammenhängenden staatlichen Organe sind ab sofort aufzulösen. Die Lohnfortzahlungen der somit Gekündigten bis zur völligen Leerung der Staatskasse durchzuführen.

Ich selbst, wie alle Minister und Staatsdiener werden sich unter euch begeben, und jeder nur noch sein eigenes Wohl, und nicht das vermeintliche Vieler zu eigenem Nutzen, im Auge behalten.

Allen danke ich für ihr mir bis Jetzt entgegengebrachtes Vertrauen, und wünsche euch viel Glück auf den eigenverantwortlichen Wegen!”

 

Mit offenen Mündern starrten seine Berater ihn entgeistert an, das Volk schwieg ratlos erst.

Als er die Treppen hinunter zum Vorplatz ging, hörte er die ersten Rufe aus der Menge: “ein Verrückter”, “der ist lebensmüde”, “Gott erhalte den König”.

 

Nachdem er den Vorplatz betrat wurde er von einer kleinen schon auf­gebrachten Menge umringt, während im Palast sich alle Berater zu einer eiligen Konferenz zurückzogen.

 

Er wurde von vielen Fragen bestürmt: “Wer sagt mir jetzt,wos langgeht?”, “Was ist ,wenn mir jetzt einer mein Eigentum raubt”, “oder meine Frau vergewaltigt”?, ” was wenn ich arbeitslos bin?”, “wer zahlt bei einem Unfall?”  …    , Macht das unter euch aus, sagte er, ihr müßt schon selbst wissen was ihr wollt und für richtig haltet, wozu lauft ihr sonst auf der Erdkugel herum?

“Du feiger Hund” , rief einer, sich aus der Verantwortung stehlen und leise davonmachen wollen, daß sind mir die Richtigen.”

Lachend spöttisch rief er ihm als letzten Gruß, „und was habt ihr Einzelnen alle seit Anbeginn unserer Kultur gemacht?“

Und verschwand so schnell in der  Menge und dem Wirrwarr, daß niemand ihn mehr entdecken konnte.

Tage später fand man an vielen Hauswänden Plakate kleben, welche ihn, den höchsten Staatsverbrecher und Verräter gegen eine immense Belohnung als Freiwild deklarierten.

 

Durch Lumpen und ansetzenden Bart, Brille und Schlapphut unkenntlich ge­macht streifte er derweil durchs Land, lebte von Almosen und gelegent­lichen Tagesjobs.

So ganz allein auf sich gestellt begann er zum ersten­mal die Schönheit und Grausamkeit der Natur deutlich zu verspüren.

 

An sprudelnden Bächen wusch er sich in eiskaltem Wasser und trank da­raus. Im Wald oft in alten Decken gehüllt begann ihn mit aller Macht der Nachtfrost zu schütteln. Wenigstens hatte er eine die Einsamkeit und Kälte erwärmende Flasche bei sich.

Und doch hatte er sich selbst noch nie so wie in den nächsten Wochen gespürt.

 

In den vielen Gesichtern, welche ihn oft nur mitleidig streiften, sah er

die Züge der gehetzten Marionetten, gegeißelt von ihren eingeredeten

Bedürfnissen hasteten sie von einem Augenblick zum anderen.

 

Er selbst freute sich wenn die Sonne ihn erwärmte und er auf einer

Brücke sitzend das Wasser träge sich seinen Lauf entlangwindend sah.

Genauso fluchte und schimpfte er, wenn er völlig durchnäßt graue Vor-

Stadtviertel suchend nach einem Unterschlupf durchquerte.

 

So vergingen viele Tage, in denen sein Haar grau wurde, immer noch wurde

er gesucht.

Einst befand er sich in einer kleinen Stadt und hatte nach einer an­strengenden Tagesarbeit sich in einer Schenke zum Trunke niedergelassen. Die Erinnerungen an frühere Gelage wurden wieder wach, während er an einem billigen Wein süffelte.

 

Neben seinem Tisch saßen einige Fabrikarbeiter schon ziemlich betrunken und debattierten.

Sie erzählten von ihren kleinen Gewinnen gegen den Staat durch Steuer­hinterziehung und Klagen vor Gericht, und brüsteten sich damit erheblich. Dann gingen sie zur Politik über und schimpften über die Dummköpfe und ihre schwachsinnigen Gesetze. Der eine erinnerte sich an den politischen Skandal vor zwei Jahren, wo der Herrscher selbst in geistiger Umnachtung die Staatsherrschaft beenden wollte.

A11e brachen in heilloses Gelächter aus und schlugen sich auf die Schenkel,”so blöd müßte man sein“ riefen sie durcheinander, “hat seine Schäf­chen im Trockenen, jeden Tag frei Ficken und Saufen, und meint drauf ver­zichten zu wollen, nur für uns!

Was hätten wir denn davon?, noch mehr Arbeit,

und wer sorgt und garantiert dann noch für unsere kleinen Be­quemlichkeiten?

 

Ja, sagte einer, wenn wir mal von unseren dämlichen Politikern absehen, haben wir doch eigentlich ein ganz gutes Leben, klar, sagte der andere, haben auch einige Jährchen dafür geschafft und gespart. Alle klopfen sich auf die Schulter,

 

Da wird er so wütend , daß er aufspringt und die Bande anbrüllt:

„Was habt ihr geschaftt?!

Euch in eurer kleinen betäubenden Bequemlich­keit verkrochen, höchstens noch in der Verdauung mit der Amöbe konku­rierend.

Wettert über Herrscher, und wenns ohne gehen könnte geht euch das Muffensausen!“

 

Drohende Blicke treffen den Alten, “Wer hier Muffe hat Väterchen werden wir gleich sehn”, schreit einer und schleudert ihm ein Glas an den Kopf. Er spuckt aus, und dem einen genau in sein Bierglas, der springt auf und fängt an ihn aufs heftigste zu schlagen.

Nachdem er röchelnd am Boden leidend liegt, versetzt ihm ein anderer noch einen Tritt und treibt ihn auf allen vieren kriechend aus der Kneipe.

 

Mühsam rappelt er sich auf, kaum kann er sich bewegen, als in der Kneipe ein Ruf laut wird, “war das nicht der Verrückte von damals,unser durch­gedrehter Herrscher?” Komm laß ihn uns einsacken, das gibt ne saftige Belohnung !“

 

Er beginnt zu laufen trotz seiner Schmerzen ohne Orientierung durch die dunkelen Gassen.

Blutend, zerschunden und geschlagen fällt er auf seiner Flucht in den Morast, unfähig sich noch einmal zu erheben.

Ein hinkender dreibeiniger Hund nähert sich vorsichtig von der Seite, schaut den liegenden Körper verwundert an und leckt sanft seine linke Hand.

Seine Kräfte schwinden,seine Hand sinkt kraftlos nieder während sein Auge in der Dämmerung nach einer kleinen Graspflanze greift, und sein Ohr in der Ferne noch das beständige mächtige Rauschen des sprudelnden lebensfreudigen Baches erhascht.

 

Sein Leben verliert sich mit dem Wasser, die Schritte hinter ihm hört er schon nicht mehr kommen.