31.12.2013

Nietzsche Vortrag

Vortrag :

Die Decadence, Nietzsches Vorrausschau auf unsere heutige Zeit.

Die ewige Wiederkehr des Gleichen, Nietzsches Todesurteil?

 

Gliederung:

 

1.  Einleitung

 

2.  a)Nietzsches prophetische Beschreibung der Decadence(Stellenangaben, Zitate) unter Vergleich mit der heutigen europäischen Gegenwart.

 

b) Der Staat und der Einzelne

 

3.  Nietzsches Einordung der Dekadenz in den „weltgeschichtlichen Zeitablauf“

 

4.  Der Gedanke der ewigen Wiederkehr als obersten weltgeschichtlichen Zeitablauf.

 

5.  Der Stellenwert der EW(ewigen Wiederkehr) bei Nietzsche, missriet ihm ein Köder zur letzten Weisheit/Erkenntniss?

 

6. Schlusswort mit einigen Anmerkungen zum geistigen Zusammenbruch Nietzsches

 

 

1.  Einleitung

 

Wenn wir die Philosophie in ihrer Geschichte und Bedeutung betrachten, so fällt heute eine deutliche Bedeutungsabnahme der Philosophie ins Auge.

Dies liegt wohl zum einen in der immer grösseren Entfernung von Philosophie zum geläufigen Alltag, hervorgerufen oft durch den rein philologischen Charakter heutigen Philosophierens, als auch an dem parallel erfolgtem Niedergang religiös-metaphysischer Sicht- und Lebensweisen.

 

Gerade Nietzsche scheint mir noch einmal als einer der Letzten den Versuch gemacht zu haben das Denken über unser Tun und Wollen einzubetten in den grossen Rahmen von Welt ohne dabei die facettenreichen Farbenkonstellationen gegenwärtigen Lebens und Erlebens aus den Augen zu verlieren.

Bei all seiner Art „Philosophie zu treiben“ steht der Wille zur Erklärung und Lösung eines wesentlichen Problems im Vordergrund, und nicht der philologische Ästhetizismus, wiewohl gerade er diesem am ehesten hätte verfallen können.

 

Nietzsches Art der Zukunftsbetrachtung, welche unmissverständlich die Stellung einer Prophezeiung sowohl aus seiner Absicht als auch aus der späteren Bewertung seines Nachlasses heraus(ZITAT 1 „Was ich erzähle ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe was kommt, was nicht mehr anders kommen kann. Die Heraufkunft des Nihilismus.“  KSA 13 S. 189 siehe auch KSA 13 S. 56) einnimmt, erschlossen aus den Strömungen der Vergangenheit und Gegenwart, kombiniert mit SEINEM Wollen ist weniger logisch als psycholgisch.

 

Mit seiner frühen Definition von Masse=Heerde und Dekadenz versucht er gerade dieser Masse das Gewicht zu nehmen um sie als Nährboden zu betrachten für die wenigen Einzelnen(„freien Geister“).

Dies ist sein Idealismus.

 

Er sah aber schon früh die Gefahr der allesverschlingenden Macht durch das gezüchtete Recht der Mittelmässigkeit.

Nietzsches Dekadenz Begriff ist teilweise entlehnt dem des Bourget(franz. Erzähler 1859-1935 kathl. kons. Psychologe), wenn es sich um eine Stilform, eine gewählte Lebensform des Menschen handelt.

Jedoch in der allumfassenderen Bedeutung Decadence als Sympthom eines Zeitalters tritt der Bezug zu Bourget in den Hintergrund.

 

Nietzsches konkrete politische und gesellschaftliche Ahnungen lassen eventuell auch seine anderen Bemerkungen in neuer Bedeutung für uns erscheinen da der Bezug seines Denkens zu unseren heutigen Problemen  womöglich stärker ist als bisher angenommen.

Besonders die immer wiederkehrende Nennung des Begriffs Europäer und Europa erscheint heute nach konkreter Realisierung einer Europäischen Gemeinschaft als ein interessantes Phänomen welches als Gedanke schon 1884/85 ausgesprochen wurde. („Über alle diese nationalen Kriege, neuen Reiche… sehe ich hinweg, was mich angeht- denn ich sehe es langsam und zögernd sich vorbereiten- das ist das Eine Europa“… „Das Geld allein schon zwingt Europa , irgendwann sich zu einer Macht zusammenzuballen.“KSA 11 S. 583/84 )

Die Idee eines europäischen Zusammenschlusse wird gemeinhin nämlich erst  Coudenhove-Kalergi um 1918 zugesprochen.

 

 

2. a) Dekadenz

 

Der  Dekadenz-begriff bei Nietzsche bezieht sich zuvorderst generell auf alle menschlichen Kulturen in der Geschichte, als ein notwendiger Zustand der im Laufe der Entwicklung durchschritten wird (ZITAT 2) So heißt es in der Götzen-Dämmerung: »Es hilft nichts: man muss vorwärts, will sagen Schritt für Schritt weiter in der décadence (– dies meine Definition des modernen >Fortschritts< . . .)“ Begriff Decadence  Der Abfall, Verfall, Ausschuss… KSA 13 S. 255) .Generell bezeichnet er das Stadium einer auf der Höhe verharrenden Kultur mit all ihren Errungenschaften, welche dann aufgezehrt werden ohne weiteren Entwicklungsnachschub zu schaffen. Sozusagen ein notwendig natürlicher Ablauf.

 

So stellt sich nun die erste und wichtigste Frage im Hinblick auf Nietzsches Dekadenzbegriff, warum mass er ihm eine solche umfassende Bedeutung zu?, sein gesamter Nachlass ist durchsetzt mit dieser Dekadenz-Diskussion.

 

Unter dem Aspekt der Umkehrung der Werte welche er selbst propagierte und prophezeite kann der Stellenwert des Stadiums der Dekadenz ein anderer sein als nur eine notwendige Phase in der Entwicklung des Menschen, welche ohne! neue Folgen vorübergeht.

 

a) die Dekadenz nämlich als gewünschter Dauerzustand der Masse/Heerde

 

b) die Dekadenz gezielt als Werkzeug des höheren Menschen eingesetzt zu seinen Zwecken, seinem Nutzen.

 

Diese Phänomene der Dekadenz werden von Nietzsche unterschieden zu der anfangs vorgestellten allg. Bedeutung von Dekadenz.

Er lokalisiert dieses Phänomen in der neuen Brisanz und Schärfe im europäischen Raum.

 

Es ist verblüffend wie häufig Nietzsche vom zukünftigen Europäer vom zukünftigen Europa spricht, wenn man bedenkt das 1880 die Einzelstaaten mitsamt ihrer kolonialen Ausdehnung im Mittelpunkt der jeweiligen „Reichsbürger“ standen und an eine europäische Vereinigung nicht im weitesten zu denken wäre.(ZITAT 3 „Gesammt Anblick des zukünftigen Europäers: derselbe als das intelligenteste Sklaventhier, sehr arbeitssam, im Grunde sehr bescheiden, bis zum Excess neugierig, vielfach verzärtelt, willensschwach – ein kosmopolitisches Affekt und Intelligenzen-Chaos“ (KSA 13 S. 17) „Die wirtschaftliche Einigung Europas kommt mit Notwendigkeit- und ebenso als Reaktion die Friedenspartei…“)

 

Er sieht einen Konflikt zwischen Europa und Amerika kommen, mit klarem Antiamerikanismus reagiert er und verweisst Europa in die Verbindung mit dem Osten, den Slawen, Russland. (ZITAT4 „wir brauchen ein unbedingtes Zusammengehen mit Russland und mit einem neuen Programm gemeinsamen Programm welches in Russland keine englischen Scheinwesen zur Herrschaft kommen lässt. Keine amerikamische Zukunft!“ KSA 11 S. 239)

 

Warum ist für Nietzsche gerade die Verbreitung der Dekadenz in Europa so wesentlich?

Sicher, zum einen kennt er natürlich die europäischen Verhältnisse wesentlich besser, da er in diesen aufgewachsen ist, dennoch hätte er sich auch im wesentlichen nur auf das Deutsche Reich bei seiner Untersuchung und Beschreibung der Dekadenz stützen könne.

Heute würde man vieleicht den Terminus, Nietzsche war ein Kosmopolit als Begründung anführen.

Jedoch der Grund liegt in der Entstehungsgeschichte der Dekadenz in Europa, welche hier nun kurz skizziert wird:

 

Mehrfach stösst man im Nachlass N. auf folgenden Beginn:

„Was ich erzähle ist die Geschichte der nächsten 2 Jahrhunderte. Ich beschreibe was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus“

 

Dekadenz wird somit die Begleiterscheinung des Nihilismus sein, das Symphtom des Nihilismus an dem dieser auszuloten ist.

 

Nach Nietzsche gibt es folgende Abfolge:

 

Pessimismus

 

Nihilismus

= Dekadenz als Sympthom

Anarchismus

 

Die neue Welt: Übermensch, Wille zur Macht ….

 

Nicht von ungefähr beginnt Nietzsche mit dem Pessimismus als „Starter“ dieser verheerenden Abfolge. Mit Schopenhauer hat Nietzsche die Augen schmerzhaft geöffnet bekommen, ist hinsichtlich des christlichen und eigentlich jeden Glaubens desillusioniert worden.

In der Zeit um 1880 lässt sich auch allgemein eine beginnende Abkehr vom religiiösen festmachen, die weniger in Taten als im Denken festzuhalten ist, d.h. religiöse Gewohnheiten werden gepflegt aber als Pflicht, nicht mehr aus Überzeugung.

 

Wozu leben, wenn a) das Ziel (Paradies) undenkbar und

b) Die Menge des Leides bei weitem die Lust übertrifft. (ZITAT 6 KSA 12 S. 397)

 

Von dieser Einstellung des Pessimismus kommt man nach Nietzsche zur Phase des Nihilismus, als Schlussfolgerung aus der pessimistischen Einstellung.

Es gibt genaugenommen keinen Grund seine Schwäche zu zügeln, zu überwinden, man sucht den leichten, bequemen Weg ohne weitere Ansprüche an sich selbst zu stellen.

„Die niedere species „Heerde“ Masse“ „Gesellschaft“ verlernt die Bescheidenheit und bauscht ihre Bedürfnisse zu kosmischen und metaphysischen Werthen auf.“ (ZITAT 7)

 

da der einzige Halt und Sinn nur noch im materiellen, körperlichen liegen kann.

 

Das Problem der Spezialisierung, Arbeitsteilung ist ebenfalls nach Nietzsche ein Anzeichen von Dekadenz, Zergliederung, zerfaserung (…-so wie die Arbeitstheilung von Organismen zugleich eine Verkümmerung und Schwächung der Theil, endlich den Tod für das Ganze mit sich bringt.“ KSA 12 S. 251) oder auch : (KSA 12 S. „Ursachen für die Heraufkunft des Pessimismus… 4. das die Verkleinerung, die Schmerzhaftigkeit, die Unruhe, die hast, das gewimmel beständig zunimmt, -das die Vergegenwärtigung dieses ganzen Treibens und der sogenannten Civilisation immer leichter wird, das der Einzelne angesichts dieser ungeheuren Maschinerie verzagt und sich unterwirft.“ )

 

 

Die sogenannten „höheren Menschen“ leiden an und unter dieser Entwicklung

 

Dekadenz ist nicht nur als passive Folgeerscheinung, als Schwäche oder Erschlaffen aller Regungen zu verstehen, Dekadenz kann auch den Nihilismus der Tat bedeuten, dann die Verzweiflungstat der höheren Menschen angesichts der breiten lethargischen konsummierenden Masse welche immer noch neben sich die althergebrachten Gewohnheiten und Verehrungen von Abgestorbenem hegt.(ZITAT 8 Der Nihilismus ist nicht nur eine Betrachtsamkeit über das Umsonst, und nicht nur der Glaune, das Alles werth ist zugrunde zu gehen, man legt Hand an, man richtet zugrunde. KSA 13 S. 60)

 

Den einzigen Halt den historsich gesehen der Masse/Herde noch bleibt ist der nahtlose Übergang eines christl. religiösen zu einem ohne weitere Attribute versehenen Staat als wertevermittelnde Autorität. „Die Conformität mit dem Gesetz gilt bereits als Ziel, als oberstes Ziel,- das Leben hat keine Probleme mehr.“(ZITAT 8b)

 

Die Pflicht des Einzelnen dem Staat gegenüber „eine Unterwerfung, Folge der Schwäche um nicht mehr fragen und wählen zu müssen (ZITAT 9)

 

So wie der Staat die Funktion der einst alleinherrschenden Religion übernommen

hat , so hat er auch den Gehorsam und die Unterwerfung der Vielen unter die Gesetze des Mittelmasses übernommen.(siehe hierzu auch 1888 „Das eherne Schweigen“: „wo Leben erstarrt, thürmt sich das Gesetz“

 

Der europäischen Staat wie Nietzsche ihn negativ charakterisiert ist zwar aus der Nachfolge der religiösen Herrschaft zu verstehen, nur mit dem Unterschied das nun nicht mehr Wenige das Verhalten der Masse dirigieren sondern die Masse selbst ihre Massstäbe  in Folge der Dekadenz als oberstes Ziel setzt.

Der Sozialismus verkörpert für Nietzsche das krasseste Zeichen einer solchen Entwicklung.

„Der Sozialismus als die zuende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten….(ZITAT 10 KSA 11 S. 586)

Nietzsche verabscheut diese gutmütigen Ziele der Herdenhaustiere aufs äusserste, seine Charakteristiken dieser Diktatur der Masse vermeinen einen in heutige Zeiten zu versetzen.

Klar definiert er die heutigen Ziele: „Der Wohlstand, die Behaglichkeit, die den Sinnen Befriedigung schafft, wird jetzt begehrt, alles Welt will vor allem das, folglich wird sie einer geistigen Sklaverei entgegengehen, die noch nie da war.“

 

Mit dem Bestehen einer weitgehend homogenen Masse, welche somit gleiche Ansprüche an Versorgung mit Gütern, Nahrungsmitteln etc. stellt , ergibt sich auch eine neuartige Produktionsweise, wo nur mit Hilfe von Maschinen gleiche Güter für alle hergestellt werden können und in auch entsprechender Quantität.

Hierzu erkannte Nietzsche schon 1880 die amerikanische Automatisierung als bestimmende Zukunftsvariante.(ZITAT 11 „Die Aufgabe (des Staates) ist, den Menschen möglichst nutzbar zu machen, und ihn soweit es irgendwie angeht der unfehlbaren Maschine zu nähern… KSA 12 S. 459) Pflicht als Ideal ohne Inhalt, an sich.)

 

Nicht das es möglich wäre Maschinen neben Menschen setzen zu können, die Menschen werden immer involviert sein im maschinalen Ablauf, ja genauer diesen immer stärker zum Zwecke des Funktionierens übernehmen müssen.(ZITAT 13)

Was nämlich funktionieren muss ist die Versorgung aller „Dekadenten“  unter Zuhilfenahme des gesetzgebenden Staates als oberstes und einzigstes Ziel.(Zitat 12)

 

 

 

Was hier passiert ist nichts anderes als die totale organisierte Stagnation alles menschlichen Vermögens, der Mensch zuerst als Selbstzweck unter Annahme eines funktionierenden maschinellen Perpetuum mobiles, vielleicht endend in jener Orwellschen Phantasie welche Nietzsche schon andeutete.(ZITAT 14 „Der Staat hat von 1789 an teufelsmässig die Rechte von Jedem absorbiert, und ich frage mich, ob nicht, unter dem Namen der vollkommenen Herrschaft des Staates, uns die Zukunft noch eine ganz andere Tyrannei vorbehält…“ … der despotismus in Form französicher Bürokratie)

 

 

 

Mit der immer zunehmenden maschinellen Tätigkeit des Menschens und einem immer absoluterem Gehorsam geht jegliche Selbstverantwortung des Menschen verloren, die in der Freizeit (15c)immer immensere Reizüberflutung führt zu einem völligen Verlust von Kreativität, von Eigenantrieb:“der Mensch verlernt zu agieren… (ZITAT 15 KSA 12 S. 399) er reagiert nur noch. Ebenso verliert der Mensch jegliches Interesse an Selbstverantwortlichkeit .(KSA 13 S. 66)

 

Zunehmend entwickelt sich ein Spezialistentum, welches von Menschen ausgeübt wird bar jeder Verantwortlichkeit für die Konsequenzen aus Ihren Werken, Erkentnissen, Erfindungen,

alles im Dienste des Staates als Werkzeug.(ZITAT 16“ Heute wo der Staat einen unsinnig dicken Bauch hat gibt es in allen Feldern Fächern ausser den eigentlichen Arbeitern noch Vertreter…, gar nicht zu reden von den Politikern von Berufs wegen, welche sich wohl befinden und Nothstände vor einem Parlament mit starken Lungen vertreten“ KSA 11 S. 475)

 

2. b) Staat und Einzelner

 

Was verurteilt Nietzsche an der modernen Entwicklung?

Nicht die Tatsache das einen Staat gibt, dazu predigt er auch viel zu vehement gegen jeglichen Anarchismus, aber die Vernichtung des Einzelnen, des Individuums zugunsten einer dekadent funktionierenden Gesellschaft unter der Herrschaft eines Staates als Sprachrohr der Mittelmässigkeit.

 

Wenn er auch gegen Rousseau immer wieder auf härteste gekämpft hat, auch Nietzsche vertritt die Idee eines „Naturmenschen“ (Beleg ZITAT 17), das Tier im Menschen.

 

Es ist für Ihn der ursprüngliche raubthierhafte Mensch, welcher zwar sich an moderne Zeiten anpassen kann, aber nicht seine Natur, nämlich den unbedingten Willen zur Macht verlieren darf.

 

Die Moderne Zivilisation“braucht alle Art Eisen und Tortur, um sich gegen die Furchtbarkeit und Raubthiernatur aufrecht zu erhalten. (ZITAT 18 KSA 13 S. 72).

 

Jetzt ist nach Nietzsche der Staat selber anstelle einiger Einzelner zu diesem Raubthier mutiert. (ZITAT 19 „Ihr habt alle nicht den Muth, einen Menschen zu tödten, oder auch nur zu peitschen aber der ungeheure Wahnsinn im Staate überwältigt den Einzelnen… der Staat als die organisierte Gewalttätigkeit“ KSA 13 S. 97 oder auch S. 187 „Der Staat oder die organisierte Unmoralität..“).

 

Ein Recht welches Nietzsche den höheren Menschen vorbehält aber nicht dem demokratischen Ausfluss einer Herde des Mittelmasses.

 

Der Despotismus als Bürokratie, das Mittel des modernen Staates gegen alles Einzelne Fremde, Andere.

 

Der Einzelne wird zum Feind des Staates wenn er auf seine Selbstständigkeit, Selbstverantwortlichkeit beharrt.

 

Auch in dieser Hinsicht hat sich eine vorläufige Umwertung der Werte gezeigt:

„Aber jetzt versucht man …(ZITAT 20)

 

 

Der Staat ist = Heerdeninstinkt „Er will Herr sein (ZITAT 21)

 

Das Mittel dieses Staates ist die persönliche Unfassbarkeit, nicht Menschen können mehr

 

als Feind gegen einen selber identifiziert werden, der Staat gestaltet sich selbst anonym um jeden möglichen Angriff im Vorfeld zu ersticken, dazu bedarf es eben jener schon erwähnten

Arbeitsteilung, Delegation von Spezialistenaufgaben, Verbürokratisierung.

 

Auch dieser Staat hegt nach Nietzsches Ansicht keinen höheren Zweck, vielmehr scheint er der Selbsterhaltung möglichst vieler Staatstragenden zu dienen, was heute aktueller als je zu sein scheint. (ZITAT 22)

 

Schliesslich wird die Arbeit nicht mehr aus Not heraus aufgenommen, sondern um der Langeweile zu entgehen („Man muss arbeiten, wenn nicht aus Geschmack, so mindestens aus Verzweiflung. Da, alles wohl erwogen, arbeiten weniger langweilig ist als sich amüsieren.“ KSA 13 S. 81)

3. Dekadenz im weltgeschichtl. Zusammenhang

 

Hier müssen wir nun nochmals zurückkommen auf die Eingangs gemachte Unterscheidung der Nietzschen Sichtweise von Dekadenz, nämlich zum einen die Dekadenz als Endziel der Masse postuliert, wie in 2a) beschrieben, mit der starken Gefahr des Gelingens wie in 2 b) ansatzweise belegt.

Hierzu, die Dekadenz als Endziel gibt sein Aphorismus „Anti-Darwin“ Aufschluss.(ZITAT 23 KSA 13 S. 303).

Eine der grossen Gefahren in der endgültigen Verwirklichung dauerhafter Dekadenz sieht Nietzsche in der Gefahr das die Herde die wenigen nicht völlig infiszierten Ausnahme-Menschen/höheren Menschen zu Hüterfunktion für das Aufrechterhalten der Massenzivilisation überredet. (ZITAT 24) . Die Gefahr des Stillstandes des Menschen durch eine dekadente Zivilisation ist nichts was nur einen geringen Grad von Wahrscheinlichkeit beansprucht, die Hälfte der Schriften Nietzsches zum Thema Dekadenz drückt die klare Befürchtung eben dieses kommenden Stillstandes aus (ZITAT 25)/auch (ZITAT 26)

 

Zum anderen jedoch auch hier wieder Dekadenz als erziehendes züchtendes Mittel um die „Spreu vom Weizen zu trennen“.

 

Nach Nietzsche muss es einigen Einzelnen gelingen trotz der nivellierenden allesumfassenden neuen Weltordnung der Masse, Kraft und Übermass an Extremem im Denken und Handeln zu bewahren zum Zwecke: der Herrschaftsübernahme der gesamten Erde.(ZITAT 27).

 

Hier stossen wir an eine prägnante Stelle im Denken Nietzsches, vor aller denkbaren Freiheit,

steht bei  Nietzsche der Wille zur Macht, er kritisiert die Zustände aus der Machtlosigkeit heraus und belegt dieselben Zustände mit dem Attribut  wünschenswerth wenn die höheren Menschen die gesamte Macht innehaben. (ZITAT 28)

 

Die Welt der Schwäche, Schwachen, verurteilenswert solange keiner auf Ihren Körpern und Köpfen wie ein Klavier spielen kann.

Hier kann sicherlich ein Ansatz zur menschenverachtenden Philosophie Nietzsches gefunden werden.

Ein Teil der Menschheit immer nur Werkzeug, Spielzeug von Wenigen.

 

Nietzsche sucht nicht durch Aufklärung die Dummheit/Dekadenz der Masse zunichte zu machen, auch die Aufklärung ist nur wenigen bestimmt.

 

Gerade aus dieser Haltung heraus steigt aber auch die Gefahr entweder eines wirklichen Stillstandes da die Zahl keinen Platz für Einzelne lässt, schon gar nicht wenn diese Einzelnen

schon immer mit Ihren Augen auf ihre Diktatur des „Proletariats“ schielen, was eben auch der Masse mittlerweile teilweise bewusst geworden ist, oder der zyklischen Wiederholung von Macht und Ohnmacht.(ZITAT 29)

 

Nietzsche versucht das Phänbomen der Dekadenz auch überschauend zu begreifen.

In der Geschichte der Menschheit vermutet er das die Dekadenz letztlich nicht erwachsen ist(z.B. aufgrund Ihrer immer grösseren Zahl und damit verbunden der techn. Zivilisation) aus der Masse, sondern er hegt den Verdacht das immer nur die Dekadenz Werte , sprich, Ruhe, materielles Wohlbefinden, Leidlosigkeit, Gewohnheit etc., gelehrt worden sind (ZITAT 30)

 

Abschliesend findet man noch eine Sentenz welche sicherlich auch die Frage der Dekadenz relativiert,seine Abstraktionsfähigkeit klar darstellt, und  seinen verzweifelten Versuch darstellt immer noch einen Sinn im menschlichen Ablauf zu finden, nicht zu setzen!! (Zitat 31 KSA 13 S.489).

Solange er aber einen solchen nicht finden kann muss er zu seinem Hilfsmittel greifen nämlich unter Annahme der globalen Sinnlosigkeit dennoch ein Ziel zu setzen.(ZITAT 32)

 

4. Die Ewige Wiederkehr des Gleichen

 

 

Die Entstehungsgeschichte dieses Gedankens wird im allgemeinen August 1881 angesiedelt, paralell zum Zarathustra-Gedanken.

 

Die bekannteste Stelle wo zum erstenmal öffentlich der Gedanke der ewigen Wiederkahr angedeutet wird befindet sich im Zarathustra am Ende des 3. Teils  „alle Lust will Ewigkeit“ fasst auf einer Kurzformel Nietzsches Ziel, seinen grössten Wunsch zusammen.

 

Zeit seines Lebens deckte Nietzsche die Vergänglichkeit aller Weisheit, alles Handelns auf wie unter einem Zwang seine eigene Basis, das religiöse Empfinden, vernichtend.

 

Dieser neue Gedanke Nietzsche reift allerdings viel weniger dichterisch heran als aufgrund jener bekannten Stelle gedacht.

 

Eine Häufung von Stellen zum Gedanken der ewigen Wiederkehr finden sich im Nachlass , Ende 1881.

 

Das Energieerhaltungsgesetz könnte man grob als Grundlage des Gedankens der ewigen Wiederkehr fassen. (ZITAT 33)

 

Es geht Nietzsche immer wieder bei diesem neuen Gedanken darum ihn wissenschaftlich zu untermauern, ihn logisch zu beweisen.

 

Sein immer wiederkehrendes Hauptargument ist: Wenn die Welt ein Ziel hätte wäre es in der Unendlichkeit welche sowohl vorwärts als auch rückwärts gedacht werden muss, schon längst erreicht.

Fakt ist, das wir uns „immer noch“ in dauernder Bewegung befinden.(ZITAT 34).

 

Nietzsches zweites Argument diesen Gedanken zu stützen ist die Endlichkeit der Kraft, eingebettet in die unendlich Zeit, welche somit nur endliche Konstellationen hervorrufen kann.

Hier gibt es Fragen, wie: warum eine endliche Kraft/Energie in einer unendlichen Zeit?

Vor allem die These der begrenzten Kraft ist ohne weitere hinreichenden Belege geblieben.

 

 

 

Ursprünglich richtete sich Nietzsches Gedanke der EW wahrscheinlich zuvorderst gegen den Gedanken eines Schöpfers, eines Schöpferprinzipes, Urgrundes etc..

 

Denn diese damit verbundene allgemeine Zielsetzung widersprach seinem schöpferischen Geist, und seinem Denken jenseits von Gut und Böse.

 

Interessant ist in meinen Augen das dieser Gedanke der ewigen Wiedkehr nicht erst 1881 wie ein Blitz aus heiterem Himmel bei Nietzsche einschlägt, sondern schon 1873! in seiner wissenschaftlichen Fragestellung umrissen, diskutiert wird.

 

Unter dem fragmentarischen Titel „Bewegung in der Zeit“ findet sich ein ca. 5 seitiger Abriss seiner physikalisch wissenschaftlichen Anschauung der Zeit.

 

Im Kerne enthaltend Gedanken der Atomistik der Vorsokratiker verbunden mit neueren wissenschaftlichen Arbeiten Zöllners, Boskovich entwickelt Nietzsche folgende Thesen:

 

-“ Die Zeit beweisst das absolute Nichtbeharren einer Kraft2

– „Die ganze Welt in einem Schlage“

– „Die Realität der Welt bestünde dann in einem verharrenden Punkte. Die Vielheit entstünde dadurch, das es vorstellende Wesen gäbe, welche diesen Punkt in den kleinsten Zeitmomenten wiederholt dächten“.(ZITAT 35)

 

Schon die Sprache dieses frühen Nachlassfragmentes ist sehr ähnlich der späteren Begründung der Lehre von der EW.

 

Der Gedanke der EW wie Nietzsche ihn dann im Nachlass 1881 formt geht anfangs noch weniger von der konkreten detailierten Wiederholung von Einzelfällen und Situationen aus, sondern umreisst allgemein erst einmal die Tatsache des Energieerhaltungsgesetzes, anders geredet man kann nicht etwas zu nichts machen.(ZITAT 36 Nachlass 1881 S.473).

Auch wenige Seiten später ist der Gedanke der identischen Wiederholung eher noch in weiter Ferne.(ZITAT 37 Nachlass 1881 S. 497).

 

Die Nähe des Gedankens der Mechanik, des mechanistischen Ablaufes zur EW bringt Nietzsche immer wieder in Zweifel und Fragwürdigkeiten.(ZITAT 38 1881 S. 561/62).

 

Erst um 1886 findet sich eine förmliche Lust Nietzsches an dem Gedanken der EW nämlich sein Ja-sagen wollen, aus einem glücklichen Moment die Gesamtheit des (individuellen)Dasein zu rechtfertigen.(ZITAT 38).

 

Zwei wichtige Merkmale bei Nietzsches EW fallen ins Auge:

 

a) wiederum die Furcht vor endgültigem Stillstand/Ruhe, die EW als beweiskräftiges Gegenkonzept gedacht(ZITAT 39)

b) immer noch ein verbleibender Rest von religiösem (Fest-)Haltebedürfnis weshalb Nietzsche die Theorie der EW dem Gedanken des unendlichen ungesteuerten Wechsels der Formen vorzog.

 

Zuletzt ist zu beachten das Nietzsche selbst des öfteren vom Gedanken der EW als eines Zuchtmittels spricht, also eine letztlich nicht zu beweisende Hypothese eingesetzt als Werkzeug zur Filterung des Menschen in Starke und Schwache.(ZITAT 40 hier interessant der Nachsatz wie dächte solch ein Mensch an EW!).

Auch liegt der Gedanke der EW bei Nietzsche mitunter im Konjunktiv begraben(ZITAT41)

 

5.) Stellenwert der EW im Gesamtwerk Nietzsches

 

Auch wenn die EW untrennbar verknüpft zu sein scheint mit der Entstehung des Zarathustra macht sie selbst doch nur einen äusserst geringen Teil darin aus.

In den späten noch für die Publikation fertiggestellten Werken fehlt jeglicher zentraler Moment des Gedankens der EW.

Dennoch durchzieht seinen Nachlass dieser Gedanke  wie ein roter Faden.

 

Nun muss man bedenken das der Grossteil seines Spätwerkes nicht anderes bedeutet als die tiefe Rückschau auf sein eigenes Leben und die Rechtfertigung des eigenen Lebens gemessen an seinen gesteckten Zielen.

Die EW so gut sie auch als Werkzueg für die Züchtung und als Abschreckung zu gebrauchen war, für die Rechtfertigung des eigenen Leben war sie nicht zu gebrauchen, zuviel unerfüllte Wünsche, häufiges Enntbehren und seine „Unzeitgemässheit“ mochten ihn zwar immer noch ein Ja zu allem ausprechen lassen, aber auch die Frage entstand, war dies schon alles, gibt es nicht noch neue Horizonte, neue Inseln zu entdecken.

 

Genaugenommen markiert die EW einen Endpunkt in der geistigen Entwicklung Nietzsches .

Gerade sein starres Festhalten an dieser nicht unbedingt völlig neuen Erkenntniss einer Wiederkunftslehre welche auch schon von den Pythagoreern skizziert wurde(und auch natürlich im Buddhismus, halt bloss ohne Erlösung/Nirwana), verwundert einen ein wenig.

Denn seine Denkweise, Philosophie war im Laufe der Zeit durch Überprüfung alter Positionen

diese aufzugeben, sich gegen sie zu stemmen um zu neuen Schlüssen zu gelangen(Schopenhauer, Nihilismus, Wagner). Dieses Prinzip endet mit der Definition der EW.

Hier wäre noch zu verweisen auf einen wichtigen Zyklus aus seinem sehr späten Nachlass: „Das eherne Schweigen“.

 

6. Der Zusammenbruch als Folge von was?

 

In diesem oben erwähnten Zyklus tritt eine erschreckende Selbsterkenntniss zu Tage:

„schon ahmt er sich selbst nach, schon ward er müde, schon suchte er die Wege die er gieng-

und jüngst noch liebte er alles Unbegangene!“

Hier wieder sein spezifisches Problem nach der Fassung der EW nichts sinnvolles mehr vollbracht zu haben als im eigenen Urschleim rumzustochern.

 

Eine andere Stelle im selben Zyklus: „ach, das du glaubtest verachten zu müssen, wo du nur verzichtestest!“

 

Hier ganz deutlich ein Hinweis auf seine Unzufriedenheit mit seinem Status, z.B. im Vergleich zu Wagner (Wagner u. Cosima über Nietzsche 1878 : „das wir aus dieser Knolle(Nietzsche) eine Blume getrieben hätten, nur bliebe die Knolle eigentlich ein garstiges Ding“ Tagebücher Cosima Wagner Bd. 2 S. 170), oder auch im Vergleich zu seinem aristrokatischen Bedürfnis, so er 1884 schreibt:

„Es fehlt mir:

1) Köchin

2) Musiker

3) Vorleser

4) eine Art Ceremonienmeister

 

Aus diesem Mangel an Geltung an ihm gemässer ästhetischer Versorgung und Umgebung entsteht somit in den letzten Wochen und Monaten vor dem totalen Zusammenbruch als Ventil eine gewisse Art des Grössenwahns, welcher jedoch latent schon früh in seinen Werken, vor allem in seinem Nachlass als Forderung an sich, an seine Position zu verspüren ist.

Mit der Abfassung des Ecce homo beginnt eine für Nietzsche tragische und gefährliche Entwicklung der Rückschau, hierzu auch aus dem Zyklus „Das eherne Schweigen“: „Sieh hinaus! sieh nicht zurück! man geht zugrunde, wenn man immer zu den Gründen geht“ .

 

Somit meine Meinung was das Ende von Nietzsches geistiger Tätigkeit betrifft, dieses im wesentlichen durch seine Erfolglosigkeit im Wirken nach aussen bestimmt war,bedingt ducrh zu hohe Ansprüche an die Umgebung und auch an sich selbst.

Auch aus seiner weitgehenden Einsamkeit resultierte ein immer grösseres Verständigungsproblem mit seinen Freunden und Bekannten.

Inwieweit starke Schmerzmittel bis zu Drogen eine Rolle gespielt haben lässt sich schwer erweisen, es gibt zwar einige Ansatzpunkte(Bericht seiner Schwester über javanisches heilmittel), doch selbst wenn dem so sei, hätten diese zwar verstärkend, aber nicht verursachend gewirkt.

Die Theorie des Nervenarztes Möbius schon das Werk des Zarathustra seie eindeutig phatologisch muss man entgegenhalten das eine Verweis von Genie auf  Wahnsinn  von den bürgerlichen Ansichten der Masse zugerne als Argument geführt wird um unbequemes Denken zu vernichten.

 

Mit einer Stelle aus dem Nachlass 1884 möchte ich enden:

 

„Ich lobe Gott weil Gott die Welt

so dumm als möglich schuf.

Und wenn ich selber meine Bahn

So krumm als möglich lauf-

Der Weiseste fieng damit an,

Der Narr-hört damit auf.