31.12.2013

Vortrag : „ Zivilisation, von der Religion zum Kommunismus und Kapitalismus, der Verlust von Werten, Dekadenz als Zeichen einer neuen Zeit”

Gesellschafts- und Staatsformen wandeln sich im Laufe der Zeit, bestimmte Formen sterben ab und neue Formen ersetzen diese, welche schon gewachsen im Hintergrund sich befinden.

Ich möchte hier die geschichtliche Entwicklung der Menschen in zwei wesentlichen Interpretationen schildern, als Glaube an die Zukunft des Menschen  und als Glaube an das Ende des Menschen.

 

Es gibt die Theorie des zyklischen Vergehens und Entstehens von Gesellschaftsformen und allgemein der Geschichte, als auch die zivilisatorische Theorie einer stetigen Weiterentwicklung des Menschen als Einzelnen sowie als Spezies.

 

 

 

Der Mythos vom anfänglichen Goldenen Zeitalter zeichnet das Bild einer heilen und normativen Vergangenheit, von der die Folgezeit sich durch Dekadenz schrittweise entfernt hat. Die Gegenposition war die antike Fortschrittsidee. Sie ging von einem tierähnlichen Urzustand der Menschheit aus; die dadurch bedingte Not zwang zur Gemeinschaftsbildung und zur Entwicklung technischer Fertigkeiten, womit ein segensreicher zivilisatorischer Aufstieg eingeleitet wurde.

Vertreter als Beispiel Rousseau, dazu später

 

 

 

 

Das römische Reich wurde abgelöst durch die christliche Religion und den Einfall der Barbaren an seinen Grenzen sowie den inneren wirtschaftlichen Zerfall.

Die Literatur darüber ist mehr als erschöpfend, hier wurde erstmals von Forschern, Historikern des 18. Jahrhunderts der Dekadenzbegriff angewandt.

„Gibbon“ definiert den Zerfall des römischen Reiches als Dekadenz, welche durch ein unübersichtliches Verwaltungssystem, Korruption, Vernachlässigung von wichtigen Pflichten im Staatsdienst, Finanzierung des übergrossen Staates … entstand.

Merkmale waren die immer gern auch filmisch überzeichneten wüsten Gelage mit sexuellen Ausschweifungen der oberen 10.000.

 

Vor allem Sallust hat den Niedergang auf einen von Sorgenfreiheit begünstigten Sittenverfall zurückgeführt. Die Stadt Rom, so beurteilt Sallust die Entwicklung, habe ihren Aufstieg dem natürlichen menschlichen Streben nach Ruhm und Stärke und der tugendhaften Sorge nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Gemeinwesen zu verdanken gehabt. Sobald aber das Römische Reich zu maximaler Stärke nach außen und optimaler Entwicklung im Inneren gediehen sei, die ständige Bedrohung durch einen äußeren Feind und der Ansporn zu gesellschaftlicher Weiterentwicklung also gewichen seien, sei die Tugendhaftigkeit vor allem bei der Jugend mit geschichtsgesetzlicher Zwangsläufigkeit in eine dekadente Lasterhaftigkeit umgeschlagen.

Zweifellos kannten die griechischen Poleis ähnliche Befürchtungen, und dennoch ist Dekadenz als politisches Problem eine Erfindung des römischen Republikanismus. Dem Grund hierfür kommt man auf die Spur, wenn man sich weniger mit den Dekadenzbefunden aufhält als mit den Lösungsvorschlägen. Dann ist zu sehen, daß Sallust typischerweise das gute Leben in Friedenszeiten geißelt und äußere Feinde zu Katechonten eigener Dekadenz stilisiert. So heißt es im Bellum Iugurthinum, alle üblen Erscheinungen seien erst im Frieden und infolge Überflusses aufgekommen, und also sei der Frieden problematischer als der in sozialmoralischer Hinsicht segensreiche Krieg. Auf dem Grunde der römisch-republikanischen Dekadenzkritik liegt das Postulat einer militaristischen, mindestens aber heroischen Haltung.

 

 

Das Mittelalter ist uns als restriktive Herrschaft der Inquisition im Gedächntniss, über das Leben an den Klöstern lassen sich hingegen auch durchaus Verfallserscheinungen feststellen

 

Die Entartung der Mönche und Nonnen

Unsere bisherigen Mitteilungen waren Bilder aus der Blütezeit der mittelalterlichen Klöster Doch auch an den Klöstern wurde der Fluch des Reichtums wahr. In derselben Zeit, als das Papsttum die edlen Hohenstaufenkaiser niederwarf und die höchste Macht des Abendlandes errang, zog in vielen Klöstern Unwissenheit, Rohheit und Laster ein. In St. Gallen, wie wir wissen, einstmals eine Stätte der Kunst und Gelehrsamkeit, konnte im Jahre 1291 der Abt mitsamt seinem ganzen Konvent nicht einmal schreiben, desto besser aber trinken. Am liebsten saßen die meisten Mönche jetzt mit den Adligen ihrer Nachbarschaft beim Klosterwein, spielten, scherzten und sangen statt der frommen Weisen die lustigen Spielmannslieder, an denen sich unter der Dorflinde Burschen und Mädchen ergötzten. Und von vielen Nonnenklöstern ging die Klage, dass die Nonnen das Gelübde der Keuschheit nicht hielten und ein Leben voll Schande und Laster führten. Wohl gab es noch genug ernste Männer und Frauen, die das Klosterwesen in alter Zucht und Sitte erhalten und ihm die frühere Bedeutung zurückgewinnen wollten. Sie legten denen, die sich Fehltritte erlaubten, furchtbare Strafen auf. Nonnen, die das Gelübde der Keuschheit gebrochen hatten, wurden lebendig eingemauert. Und doch schritt der Verfall vorwärts. Denn allmählich brach eine neue Zeit an, die durch den Mund Martin Luthers ansprach, dass nicht nur der Stand der Mönche und Nonnen, sondern jeder Stand und Beruf, so man darin Gott von Herzen und mit Ernst fürchte und zu ihm auch herzliche Zuversicht, Glauben und Vertrauen fasse, ein Stand der Vollkommenheit sei.

 

Boccaccio, Dekameron Sittenschilderung,  gesteigerter Lebensgenuss angesichts des drohenden Pesttodes

 

Rousseau, beschreibt im Diskurs über die Ungleichheit 1755 die Zeichen und Auswirkungen der Zivilisation:

„Die Metallurgie und der Ackerbau waren die beiden Künste, deren Erfindung diese grosse Revolution( Übergang vom Naturzustand in die Zivilisation) hervorbrachte, für den Dichter ist es das Gold und das Silber, für den Philosophen aber ist es das Eisen und das Getreide, das die Menschen zivilisiert und das Menschengeschlecht ins Verderben geführt hat…

(Der Grund warum Europa  konstanter und besser zivilisiert worden ist als andere Teile der Welt, besteht darin, das es gleichzeitig am reichsten an Eisen ist , und am fruchtbarsten, was das Getreide anbelangt.“

 

„Vergleicht ohne Vorurteile den Zustand des bürgerlichen Menschen mit dem des wilden Menschen… wenn ihr die geistigen Qualen betrachtet, die uns verzehren, die heftigsten Leidenschaften die uns erschöpfen, die exzessiven Arbeiten, mit denen die Armen überlastet sind, die noch gefährlichere Weichlichkeit, der sich die Reichen hingeben, welche die einen an ihrer Not und Bedürftigkeit und die anderen an ihren Exzessen sterben lassen.

Wenn ihr an die monströsen Mischungen der Speisen denkt, an ihre schädlichen Würzungen, an die verdorbenen Lebensmittel, an die gefälschten Drogen .. „

 

Sein Schluss war, es gab einen Naturzustand den die Menschen aus verschiedenen Gründen verlassen haben und die Zivilisation und Dekadenz der aktuellen Zeit macht die Menschen unzufriedener und unglücklicher als im Naturzustand.

 

1789, Französische Revolution ein Ventil für die Widersprüche zwischen Absolutismus und Freiheit, zwischen Reich und Arm, zwischen Gott und Naturglaube, Babeuf als ein früher Vertreter kommunistischer Ideen, vermutlich entwickelt aus Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit, fordert Gemeineigentum und Gleichheit aller.

 

Beginn der Trennung von Wissenschaft und Religion, Philosophie stand nicht mehr unter theologischen Prämissen,

 

 

Zeitgleich auch finden wir in Marquis de Sade einen erstklassigen Schilderer und auch praktischen Repräsentanten der Dekadenz.

In seinem Roman Justine beschreibt er zynisch den Lebensweg zweier Schwestern welche Waisen geworden, versuchen sich durchs Leben zu kämpfen, die eine pragmatisch materialistisch, die andere gläubig und idealistisch

 

„Das sollte die Hauptaufgabe der Philosophie sein: die Mittel und Wege zu erforschen, deren sich das Schicksal zur Erreichung seiner Ziele bedient. Daraus müsste sie dann Verhaltensmassregeln für den armseligen Zweifüssler, Mensch genannt, herleiten…

Wenn wir nun bei unseren Studien finden, das die Bösen für ihre Missetaten Lohn statt Strafe ernten, werden da nicht Menschen .. mit Recht schliessen, es sei besser sich dem Laster offen zu weihen, als ihm zu widerstreben.“ (1. Kap. Justine 1797)

 

Justine endet als unglücklicher Mensch und Juliette ihre Schwester als reiche Frau Frau in den höchsten Kreisen.

 

Sade als Pornograph …

 

Die Zeit kurz vor dem 1. WK Ende der Kaiserzeit,  Fin de siècle als neue Kunstform, decadence Stil, Schilderung des kulturellen Verfalls,

Nietzsche!

 

ein wichtiger Schriftsteller der Zeit Joseph Roth

 

Weimarer Zeit, zwischen 1920 und 1930 in Deutschland schärfster Widerspruch zwischen extremer Armut und ausufernden Gelagen, Rausch, neue Drogen…

Gottfried Benn, Hans Fallada

 

Ende des 3. Reiches Bunkerszenen

 

Und frühe 90 er Jahre in Lettland???

 

 

Was verstehen wir heute unter Dekadenz?

 

–          mehr Geld zu haben als man ausgeben kann

–          einen Tagesablauf zu haben welcher durch keine Notwendigkeiten bestimmt wird

–          Projekte in Angriff zu nehmen, welcher ausser kurioser Bewunderung keinen anderen Zweck

–          Täglich zu überlegen ob und wie man seinen Körper durch Bewegung erhält

–          (Früher konnten die meisten nur durch körperliche Anstrengungen überleben, heute ist der Körper so unausgelastet das wir den Sport als notwendiges Hobby zum Überleben verstehen)

 

Im Brockhaus Lexikon um 1900:

Dekadenz: Mangel an naiver Lebenslust, Gier nach Lebensgenuss, Absterben gesunder Sinnlichkeit, Abstumpfung gegen natürliche Reize, Suche nach neuen drastischeren Nervenreizungen

 

Was verstehen wir heute unter Zivilisation?

 

Den Versuch das Leben des Menschen materiell so bequem wie möglich zu gestalten.

 

Durch:

–          technischen Fortschritt

–          Verfügbarkeit aller möglichen Produkte

–          Entlastung von körperlicher Arbeit

–          Vorausschaubarkeit und Planung der Zukunft

 

Rousseau, beschreibt im Diskurs über die Ungleichheit 1755 die Zeichen und Auswirkungen der Zivilisation:

„Die Metallurgie und der Ackerbau waren die beiden Künste, deren Erfindung diese grosse Revolution( Übergang vom Naturzustand in die Zivilisation) hervorbrachte, für den Dichter ist es das Gold und das Silber, für den Philosophen aber ist es das Eisen und das Getreide, das die Menschen zivilisiert und das Menschengeschlecht ins Verderben geführt hat…

(Der Grund warum Europa  konstanter und besser zivilisiert worden ist als andere Teile der Welt, besteht darin, das es gleichzeitig am reichsten an Eisen ist , und am fruchtbarsten, was das Getreide anbelangt.“

 

„Vergleicht ohne Vorurteile den Zustand des bürgerlichen Menschen mit dem des wilden Menschen… wenn ihr die geistigen Qualen betrachtet, die uns verzehren, die heftigsten Leidenschaften die uns erschöpfen, die exzessiven Arbeiten, mit denen die Armen überlastet sind, die noch gefährlichere Weichlichkiet, der sich die Reichen hingeben, welche die einen an ihrer Not und Bedürftigkeit und die anderen an ihren Exzessen sterben lassen.

Wenn ihr an die monströsen Mischungen der Speisen denkt, an ihre schädlichen Würzungen, an die verdorbenen Lebensmittel, an die gefälschten Drogen .. „

 

Sein Schluss war, es gab einen Naturzustand den die Menschen aus verschiedenen Gründen verlassen haben und die Zivilisation und Dekadenz der aktuellen Zeit macht die Menschen unzufriedener und unglücklicher als im Naturzustand.

 

 

Nietzsche:

Über Zvilisation:

Gegen Rousseau. — Wenn es wahr ist, dass unsere

Civilisation etwas Erbärmliches an sich hat: so habt ihr die

Wahl, mit Rousseau weiterzuschliessen „diese erbärmliche

Civilisation ist Schuld an unserer schlechten Moralität“ oder

gegen Rousseau zurückzuschliessen „unsere gute Moralität ist

Schuld an dieser Erbärmlichkeit der Civilisation.

 

 

 

Die moderne Unruhe. — Nach dem Westen zu

wird die moderne Bewegtheit immer grösser, so dass den

Amerikanern die Bewohner Europa’s insgesammt sich als

ruheliebende und geniessende Wesen darstellen, während diese doch

selbst wie Bienen und Wespen durcheinander fliegen. Diese

Bewegtheit wird so gross, dass die höhere Cultur ihre Früchte nicht

mehr zeitigen kann; es ist, als ob die Jahreszeiten zu rasch auf

einander folgten. Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Civilisation

in eine neue Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Thätigen,

das heisst die Ruhelosen, mehr gegolten. Es gehört desshalb zu

den nothwendigen Correcturen, welche man am Charakter der

Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in

grossem Maasse zu verstärken.

 

 

 

 

2. a) Dekadenz

 

Der  Dekadenz-begriff bei Nietzsche bezieht sich zuvorderst generell auf alle menschlichen Kulturen in der Geschichte, als ein notwendiger Zustand der im Laufe der Entwicklung durchschritten wird (ZITAT 2) So heißt es in der Götzen-Dämmerung: »Es hilft nichts: man muss vorwärts, will sagen Schritt für Schritt weiter in der décadence (– dies meine Definition des modernen >Fortschritts< . . .)“ Begriff Decadence  Der Abfall, Verfall, Ausschuss… KSA 13 S. 255) .Generell bezeichnet er das Stadium einer auf der Höhe verharrenden Kultur mit all ihren Errungenschaften, welche dann aufgezehrt werden ohne weiteren Entwicklungsnachschub zu schaffen. Sozusagen ein notwendig natürlicher Ablauf.

 

So stellt sich nun die erste und wichtigste Frage im Hinblick auf Nietzsches Dekadenzbegriff, warum mass er ihm eine solche umfassende Bedeutung zu?, sein gesamter Nachlass ist durchsetzt mit dieser Dekadenz-Diskussion.

 

Unter dem Aspekt der Umkehrung der Werte welche er selbst propagierte und prophezeite kann der Stellenwert des Stadiums der Dekadenz ein anderer sein als nur eine notwendige Phase in der Entwicklung des Menschen, welche ohne! neue Folgen vorübergeht.

 

a) die Dekadenz nämlich als gewünschter Dauerzustand der Masse/Heerde

 

b) die Dekadenz gezielt als Werkzeug des höheren Menschen eingesetzt zu seinen Zwecken, seinem Nutzen.

 

Diese Phänomene der Dekadenz werden von Nietzsche unterschieden zu der anfangs vorgestellten allg. Bedeutung von Dekadenz.

Er lokalisiert dieses Phänomen in der neuen Brisanz und Schärfe im europäischen Raum.

 

Es ist verblüffend wie häufig Nietzsche vom zukünftigen Europäer vom zukünftigen Europa spricht, wenn man bedenkt das 1880 die Einzelstaaten mitsamt ihrer kolonialen Ausdehnung im Mittelpunkt der jeweiligen „Reichsbürger“ standen und an eine europäische Vereinigung nicht im weitesten zu denken wäre.(ZITAT 3 „Gesammt Anblick des zukünftigen Europäers: derselbe als das intelligenteste Sklaventhier, sehr arbeitssam, im Grunde sehr bescheiden, bis zum Excess neugierig, vielfach verzärtelt, willensschwach – ein kosmopolitisches Affekt und Intelligenzen-Chaos“ (KSA 13 S. 17) „Die wirtschaftliche Einigung Europas kommt mit Notwendigkeit- und ebenso als Reaktion die Friedenspartei…“)

 

Er sieht einen Konflikt zwischen Europa und Amerika kommen, mit klarem Antiamerikanismus reagiert er und verweisst Europa in die Verbindung mit dem Osten, den Slawen, Russland. (ZITAT4 „wir brauchen ein unbedingtes Zusammengehen mit Russland und mit einem neuen Programm gemeinsamen Programm welches in Russland keine englischen Scheinwesen zur Herrschaft kommen lässt. Keine amerikamische Zukunft!“ KSA 11 S. 239)

 

Warum ist für Nietzsche gerade die Verbreitung der Dekadenz in Europa so wesentlich?

Sicher, zum einen kennt er natürlich die europäischen Verhältnisse wesentlich besser, da er in diesen aufgewachsen ist, dennoch hätte er sich auch im wesentlichen nur auf das Deutsche Reich bei seiner Untersuchung und Beschreibung der Dekadenz stützen könne.

Heute würde man vieleicht den Terminus, Nietzsche war ein Kosmopolit als Begründung anführen.

Jedoch der Grund liegt in der Entstehungsgeschichte der Dekadenz in Europa, welche hier nun kurz skizziert wird:

 

Mehrfach stösst man im Nachlass N. auf folgenden Beginn:

„Was ich erzähle ist die Geschichte der nächsten 2 Jahrhunderte. Ich beschreibe was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus“

 

Dekadenz wird somit die Begleiterscheinung des Nihilismus sein, das Symphtom des Nihilismus an dem dieser auszuloten ist.

 

Nach Nietzsche gibt es folgende Abfolge:

 

Pessimismus

 

Nihilismus

= Dekadenz als Sympthom

Anarchismus

 

Die neue Welt: Übermensch, Wille zur Macht ….

 

Nicht von ungefähr beginnt Nietzsche mit dem Pessimismus als „Starter“ dieser verheerenden Abfolge. Mit Schopenhauer hat Nietzsche die Augen schmerzhaft geöffnet bekommen, ist hinsichtlich des christlichen und eigentlich jeden Glaubens desillusioniert worden.

In der Zeit um 1880 lässt sich auch allgemein eine beginnende Abkehr vom religiiösen festmachen, die weniger in Taten als im Denken festzuhalten ist, d.h. religiöse Gewohnheiten werden gepflegt aber als Pflicht, nicht mehr aus Überzeugung.

 

Wozu leben, wenn a) das Ziel (Paradies) undenkbar und

b) Die Menge des Leides bei weitem die Lust übertrifft. (ZITAT 6 KSA 12 S. 397)

 

Von dieser Einstellung des Pessimismus kommt man nach Nietzsche zur Phase des Nihilismus, als Schlussfolgerung aus der pessimistischen Einstellung.

Es gibt genaugenommen keinen Grund seine Schwäche zu zügeln, zu überwinden, man sucht den leichten, bequemen Weg ohne weitere Ansprüche an sich selbst zu stellen.

„Die niedere species „Heerde“ Masse“ „Gesellschaft“ verlernt die Bescheidenheit und bauscht ihre Bedürfnisse zu kosmischen und metaphysischen Werthen auf.“ (ZITAT 7)

 

da der einzige Halt und Sinn nur noch im materiellen, körperlichen liegen kann.

 

Das Problem der Spezialisierung, Arbeitsteilung ist ebenfalls nach Nietzsche ein Anzeichen von Dekadenz, Zergliederung, zerfaserung (…-so wie die Arbeitstheilung von Organismen zugleich eine Verkümmerung und Schwächung der Theil, endlich den Tod für das Ganze mit sich bringt.“ KSA 12 S. 251) oder auch : (KSA 12 S. „Ursachen für die Heraufkunft des Pessimismus… 4. das die Verkleinerung, die Schmerzhaftigkeit, die Unruhe, die hast, das gewimmel beständig zunimmt, -das die Vergegenwärtigung dieses ganzen Treibens und der sogenannten Civilisation immer leichter wird, das der Einzelne angesichts dieser ungeheuren Maschinerie verzagt und sich unterwirft.“ )

 

 

Die sogenannten „höheren Menschen“ leiden an und unter dieser Entwicklung

 

Dekadenz ist nicht nur als passive Folgeerscheinung, als Schwäche oder Erschlaffen aller Regungen zu verstehen, Dekadenz kann auch den Nihilismus der Tat bedeuten, dann die Verzweiflungstat der höheren Menschen angesichts der breiten lethargischen konsummierenden Masse welche immer noch neben sich die althergebrachten Gewohnheiten und Verehrungen von Abgestorbenem hegt.(ZITAT 8 Der Nihilismus ist nicht nur eine Betrachtsamkeit über das Umsonst, und nicht nur der Glaune, das Alles werth ist zugrunde zu gehen, man legt Hand an, man richtet zugrunde. KSA 13 S. 60)

 

Den einzigen Halt den historsich gesehen der Masse/Herde noch bleibt ist der nahtlose Übergang eines christl. religiösen zu einem ohne weitere Attribute versehenen Staat als wertevermittelnde Autorität. „Die Conformität mit dem Gesetz gilt bereits als Ziel, als oberstes Ziel,- das Leben hat keine Probleme mehr.“(ZITAT 8b)

 

Die Pflicht des Einzelnen dem Staat gegenüber „eine Unterwerfung, Folge der Schwäche um nicht mehr fragen und wählen zu müssen (ZITAT 9)

 

So wie der Staat die Funktion der einst alleinherrschenden Religion übernommen

hat , so hat er auch den Gehorsam und die Unterwerfung der Vielen unter die Gesetze des Mittelmasses übernommen.(siehe hierzu auch 1888 „Das eherne Schweigen“: „wo Leben erstarrt, thürmt sich das Gesetz“

 

Der europäischen Staat wie Nietzsche ihn negativ charakterisiert ist zwar aus der Nachfolge der religiösen Herrschaft zu verstehen, nur mit dem Unterschied das nun nicht mehr Wenige das Verhalten der Masse dirigieren sondern die Masse selbst ihre Massstäbe  in Folge der Dekadenz als oberstes Ziel setzt.

Der Sozialismus verkörpert für Nietzsche das krasseste Zeichen einer solchen Entwicklung.

„Der Sozialismus als die zuende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten….(ZITAT 10 KSA 11 S. 586)

Nietzsche verabscheut diese gutmütigen Ziele der Herdenhaustiere aufs äusserste, seine Charakteristiken dieser Diktatur der Masse vermeinen einen in heutige Zeiten zu versetzen.

Klar definiert er die heutigen Ziele: „Der Wohlstand, die Behaglichkeit, die den Sinnen Befriedigung schafft, wird jetzt begehrt, alles Welt will vor allem das, folglich wird sie einer geistigen Sklaverei entgegengehen, die noch nie da war.“

 

Mit dem Bestehen einer weitgehend homogenen Masse, welche somit gleiche Ansprüche an Versorgung mit Gütern, Nahrungsmitteln etc. stellt , ergibt sich auch eine neuartige Produktionsweise, wo nur mit Hilfe von Maschinen gleiche Güter für alle hergestellt werden können und in auch entsprechender Quantität.

Hierzu erkannte Nietzsche schon 1880 die amerikanische Automatisierung als bestimmende Zukunftsvariante.(ZITAT 11 „Die Aufgabe (des Staates) ist, den Menschen möglichst nutzbar zu machen, und ihn soweit es irgendwie angeht der unfehlbaren Maschine zu nähern… KSA 12 S. 459) Pflicht als Ideal ohne Inhalt, an sich.)

 

Nicht das es möglich wäre Maschinen neben Menschen setzen zu können, die Menschen werden immer involviert sein im maschinalen Ablauf, ja genauer diesen immer stärker zum Zwecke des Funktionierens übernehmen müssen.(ZITAT 13)

Was nämlich funktionieren muss ist die Versorgung aller „Dekadenten“  unter Zuhilfenahme des gesetzgebenden Staates als oberstes und einzigstes Ziel.(Zitat 12)

 

 

 

Was hier passiert ist nichts anderes als die totale organisierte Stagnation alles menschlichen Vermögens, der Mensch zuerst als Selbstzweck unter Annahme eines funktionierenden maschinellen Perpetuum mobiles, vielleicht endend in jener Orwellschen Phantasie welche Nietzsche schon andeutete.(ZITAT 14 „Der Staat hat von 1789 an teufelsmässig die Rechte von Jedem absorbiert, und ich frage mich, ob nicht, unter dem Namen der vollkommenen Herrschaft des Staates, uns die Zukunft noch eine ganz andere Tyrannei vorbehält…“ … der despotismus in Form französicher Bürokratie)

 

 

 

Mit der immer zunehmenden maschinellen Tätigkeit des Menschens und einem immer absoluterem Gehorsam geht jegliche Selbstverantwortung des Menschen verloren, die in der Freizeit (15c)immer immensere Reizüberflutung führt zu einem völligen Verlust von Kreativität, von Eigenantrieb:“der Mensch verlernt zu agieren… (ZITAT 15 KSA 12 S. 399) er reagiert nur noch. Ebenso verliert der Mensch jegliches Interesse an Selbstverantwortlichkeit .(KSA 13 S. 66)

 

Zunehmend entwickelt sich ein Spezialistentum, welches von Menschen ausgeübt wird bar jeder Verantwortlichkeit für die Konsequenzen aus Ihren Werken, Erkentnissen, Erfindungen,

alles im Dienste des Staates als Werkzeug.(ZITAT 16“ Heute wo der Staat einen unsinnig dicken Bauch hat gibt es in allen Feldern Fächern ausser den eigentlichen Arbeitern noch Vertreter…, gar nicht zu reden von den Politikern von Berufs wegen, welche sich wohl befinden und Nothstände vor einem Parlament mit starken Lungen vertreten“ KSA 11 S. 475)

 

Spengler, Untergang des Abendlandes, Fortführung Nietzsches Gedankens

 

 

J.G. Ballard in Cocain Nights:

 

„Vielleicht tritt unsere Fin-de-siècle-Dekadenz nicht in der Form schrankenloser Exzesse, sondern vielmehr als jener übersteigerte Puritanismus in Erscheinung, den wir bei den politisch Korrekten und in den verschiedenen moralischen Überzeugungen von Fitneß-Fanatikern, New Agern und Tierschützern erkennen.”

 

Die Dekadenz beginnt, wenn die Menschen nicht mehr fragen: Was werden wir tun? Sondern: Was wird uns geschehen? Für Nationen, für politisches Handeln überhaupt, ist eine dekadente Einstellung tödlich. (Denis de Rougemont) z.B. Wahlbeteiligung unter 50%.

Oder nach Nietzsche:

Die Moral und die Civilisation suchen „weniger Schmerz“,

aber nicht „mehr Glück“.

 

 

 

 

Die Religion ursprünglich in ganz Europa als alleinige Gesellschaftsform, verliert ihre Bedeutung vermutlich schon durch die Trennung von Katholizismus und Evangelismus und dann in der französischen Revolution, wo Materialismus, Wissenschaft zusammen mit atheistischen Gedanken beginnen ihr wissenschaftliche Bereiche zu entziehen.

Heute stellt Religion einen weitgehend dekorativen Ergänzungscharakter (Hochzeiten, Weihnachten..) dar und kann sich womöglich nur deshalb noch behaupten, da es keine neue Glaubensform gibt, welche diese ersetzen könnte.

 

Der Kommunismus hat versucht die Religion zu vernichten, ist aber vor dem Kapitalismus in die Knie gegangen, welcher wiederum ursprünglich gewachsen auf dem religiösen Bürgertum der Kaufleute.

 

Beginn der Industrialisierung lässt zeitgleich den Kommunismus und Kapitalismus entstehen.

Da der Kommunismus besiegt wurde blieb als Gesellschaftsform mehr oder minder nur noch der Kapitalismus, gerne auch als Raubkapitalismus bezeichnet, übrig.

Ohne einen Gegenpart wird jede Gesellschaftsform über kurz oder lang brüchig, da sie den Schrecken einer wirklich vorhandenen anderen Gesellschaftsordnung beim Nachbarn nicht als Propaganda und Disziplinarmittel nutzen kann.

 

Es könnte die Zeit kommen wo entweder der Kapitalismus und mit ihm die Zivilisation langsam zugrunde geht, da keine neuen Werte mehr gesetzt und entdeckt werden.Dies wäre dann die Dekadenz als letztes Kapitel des Menschen nachdem dann der Überlebenskampf auf immer niedrigerem Niveau stattfinden wird.

 

Oder der Kapitalismus als Gesellschaftsordung wird zerstört durch eine neue Lebensform der Menschen welche alte Werte wegwirft und völlig andere Werte setzen wird.

 

 

Zitat  Tschuangtse

 

„Jede Ursache hat ihre Wirkung

Wenn Heilige geboren werden so erheben sich die grossen Räuber.

Macht man Scheffel und Eimer, das die Leute damit messen, so macht man gleichzeitig mit diesen Scheffeln und Eimern die Leute zu Dieben.

Macht man Siegel und Stempel, das die Leute Urkunden bekommen, so macht man gleichzeitig mit Siegeln und Stempeln sie zu Dieben.

Wenn einer eine Spange stielt, so wird er hingerichtet. Wenn einer ein Reich stiehlt so wird er Landesfürst.

Darum verbrennt die Stempel und zerstört die Siegel, und die Leute werden einfältig und ehrlich!

 Vernichtet die Scheffel und zerbrecht die Waagen, und die Leute hören auf zu streiten.

Wenn erst einmal die ganze Kultur auf Erden ausgerottet ist, dann erst kann man mit den Leuten vernünftig reden.“

(Dschuang Dsi chinesischer Taoist gelebt zur Zeit Aristoteles in China)